Mut

Ordnung schaffen braucht Mut

Mutig sein kostet Überwindung und wird zum Glück häufig belohnt.

Weil ich das Beobachten von Abläufen so spannend finde, kann ich in einem Flugzeug nicht einfach so sitzen und beispielsweise ein Buch lesen, sondern muss immer schauen, wie alle Mitarbeiter:innen zusammenarbeiten, damit ein reibungsloser Start des Flugzeuges möglich ist. Ich finde es faszinierend, wieviele klitzekleinen Schritte erforderlich sind, damit so viele Menschen zur gleichen Zeit abfliegen können.

Als ich vor über 20 Jahren in den Urlaub auf die Kanaren geflogen bin, ist mir beim Beobachten aufgefallen, dass die Crew ziemlich unfreundlich ist. Zum einen zu den Gästen, zum anderen aber auch untereinander.

Umso auffälliger war es, dass die Crew auf dem Rückflug ganz besonders freundlich war - auf eine ganz angenehme Art und Weise. Ich wollte ihnen das unbedingt mitteilen. Jemand Fremden anzusprechen hat mich damals sehr viel Mut gekostet und ich habe lange überlegt, ob ich es überhaupt machen soll. Als ich vorne im Flugzeug stand, um zur Toilette zu gehen, ergab sich die Gelegenheit und ich habe all meinen Mut zusammengenommen um den Steward das Feedback zu geben, dass ich ihre Arbeit auf dem Flug sehr schätze.

Ich war total überrascht und sehr glücklich, dass ich dafür als kleines Dankeschön ins Cockpit gehen durfte. Was für ein unglaublich toller Moment, als ich im Cockpit hinter den Piloten stand und bei Nacht auf Madrid schauen konnte. Da es heute nicht mehr möglich ist, während einem Flug ins Cockpit zu gehen oder zu schauen, ist der Moment nochmal besonders wertvoll.

Die Geschichte von der Nähkästchenmethode

Mutig bin ich auch mit meinen Kunden, wenn es darum geht, die Grundordnung zu schaffen.

Beim Ordnung schaffen sieht es immer erst einmal unordentlicher aus. Da darf ich meine Kund:innen immer beruhigen, dass am Ende alles wieder einen Platz findet - denn dafür bin ich da. Wenn ich nicht alles ausräumen würde, wäre es ein oberflächliches Aufräumen. Bei der Grundordnung geht es wirklich darum, einmal so richtig aufzuräumen und nicht immer nur halb.

Mit einer Kundin habe ich den Eingangsbereich aufgeräumt. Wir haben den gesamten Schrank leer geräumt und jedes Teil einzeln in die Hand genommen um zu schauen, ob sie den Gegenstand noch braucht oder nicht. Als die meisten Gegenstände bereits aussortiert oder eingeräumt waren, stand noch das Nähkästchen auf dem Boden. Meine Kundin meinte, dass wir das jetzt nicht extra durchschauen müssen, denn da sind ja hauptsächlich Nähsachen drin.

Ich hatte vorher schon reingeschaut und gesehen, dass in den Fächern viele verschiedene Dinge drin waren. Natürlich viele Nähsachen, aber auch andere Dinge, die sich mit der Zeit darin angesammelt haben.

Grundordnung schaffen wäre nicht Grundordnung schaffen, wenn wir nicht auch das gesamte Nähkästchen einmal komplett ausräumen und wieder neu einräumen. Das Nähkästchen steht hier beispielhaft für alle anderen kleine oder größeren Kisten, die in Schränken stehen und es sinnvoll ist, diese einmalig eben auch genau durchzuschauen.

Ich konnte meine Kundin davon überzeugen und wir haben ganz mutig das komplette Nähkästchen geleert. Das braucht Mut! Denn eigentlich war der Boden schon relativ leere und wir scheinbar fast fertig und dann leere ich das gesamte Nähkästchen aus und es sieht direkt wieder unordentlich aus. Selbstverständlich habe ich die Dinge vorsichtig aus dem Nähkästchen geholt und nicht alles ausgeleert.

Das wäre eher ungünstig gewesen, da ja auch viele Nadeln in einem Nähkästchen sind und es da natürlich keinen Sinn macht, wenn diese auch noch einzeln auf dem Boden liegen ;- ).

Es hat nur wenige Sekunden gedauert, bis meine Kundin von sich aus die Dinge aussortiert hat, die sie gar nicht mehr braucht oder die einen anderen Platz haben. Das war schon ganz schön viel.

Ich habe währenddessen damit begonnen, die klassischen Nähsachen wieder zurück in das Nähkästen zu räumen. So war der Haufen schnell viel kleiner geworden. Nach und nach haben wir die verbliebenen Dinge genauer angeschaut und gemeinsam überlegt, was zurück in das Nähkästen darf und was eben nicht.

Tatsächlich hat sich der Mut gelohnt, denn am Ende war das Nähkästchen nur noch etwa halb so voll und meine Kundin wusste wieder genau, was sie für Material hat. Wenn wir an einer anderen Stelle weiteres Nähmaterial gefunden habe, hatte dies einen schönen Platz im ordentlichen Nähkästchen.

Beim weiteren Ordnung schaffen, haben wir immer wieder an die "Nähkästchenmethode" gedacht, wenn wir wieder mutig einen gesamten Bereich ausgeräumt haben.

Rückgängig machen

Wenn ich mit meinen Kund:innen gemeinsam Ordnung schaffe und im festgelegten Bereiche erst einmal alles ausräume, merke ich, wie komisch und ungewohnt sich das für meine Kund:innen anfühlt. Sie fragen sich, auf was sie sich eingelassen haben und sind nicht mehr sicher, ob das die richtige Entscheidung war. Sie können sich nicht vorstellen, dass jemals wieder alles einen Platz findet kann.

Jetzt komme ich als Ordnungscoach und dann sieht es erst einmal so richtig unordentlich aus. Ist das nicht ein bisschen komisch?

Nein, ist es nicht. Das ist ganz normal. Es geht nicht um oberflächliches Ordnung schaffen, sondern um die Basis. Es ist sogar viel einfacher, eine neue Ordnung zu schaffen, als eine bestehende anzupassen.

Deshalb dürfen mir meine Kund:innen vertrauen, dass der gewählte Bereich am Ende tatsächlich ordentlicher ist als am Anfang. In meiner Vorstellung ist der Raum bereits ordentlich und ich kenne die einzelnen Schritte dorthin. Nur die Zeit lässt sich nicht so gut abschätzen, weil die Umsetzung von vielen Faktoren abhängt. Beispielsweise dem Treffen von Entscheidungen und der Größe der Gegenstände.

Wie heißt es so schön: "Veränderung ist am Anfang schwer in der Mitte chaotisch und am Ende wunderschön." (Robin Sharma)

In der Zusammenarbeit mit meinen Kund:innen habe ich im Blick, welche Bereiche wir noch dazu nehmen und welche wir erst einmal außen vorlassen, weil es für den Moment sonst zu viel ist. Wobei ich mich immer mit meinen Kund:innen abstimme, ob noch ein Bereich dazu genommen werden soll oder nicht.

Ich würde lügen, wenn ich das Gefühl nicht kenne, wie es ist, wenn auf einmal ein riesengroßer Berg an kleinen Gegenständen vor einem liegt und man sich wünscht, dass man die Kiste doch nicht ausgeleert hat.

Ganz konkret denke ich da an die ein oder andere Kiste voll mit Schrauben, die ich in meiner Jugendzeit neu sortiert habe. Weil ich zu der Zeit auch unglaublich gerne mit Excel gearbeitet habe, gab es immer mal wieder diesen kurzen Gedanken, einfach auf Rückgängig zu klicken. Nur "leider" geht das bei Gegenständen nicht 😉

Statt Rückgängig gilt dann Augen zu und durch. Und die Arbeit hat sich damals gelohnt, denn die Schrauben sind auch nach Jahren immer noch ordentlich sortiert. Lieber einmal richtig, als dauernd nur so halb.